Lebensweg

Momentan lebe ich in Deutschland, aber ursprünglich komme ich aus Kiew, aus der Hauptstadt der Ukraine. Als ich dort geboren wurde, war es eine friedliche Stadt, zwar mit einem stark entwickelten Antisemitismus, aber wir waren da glücklich trotz Kommunismus und Antisemitismus. Allerdings habe ich erst viel später verstanden, dass mein Opa, der vor 100 Jahren gelebt hatte, obwohl er gläubig war, nichts davon an seine Kinder weitergegeben hat. Es war nicht nur in unserer Familie so, sondern in den meisten jüdischen Familien.

Denn aus Angst vor Repressalien erzählten die Menschen ihren Kindern nichts von Gott. Und so ist das Judentum als Religion in der Sowjetunion innerhalb einer Generation flächendeckend verschwunden. Für uns alle ist es insofern interessant, dass die Bibel uns oft daran erinnert, dass wir unseren Kindern von Gott und seinen Werken erzählen sollen, unseren Glauben von Generation zu Generation weitergeben sollen. Bei uns ist nur eine Generation ausgefallen und das führte dazu, dass das Glaubensleben leider fast völlig verschwunden ist. Ich gehöre zu einer noch späteren Generation und bei uns war Gott gar kein Thema mehr. Wir waren Kinder des Kommunismus.

Es ist dann interessant, wodurch man sich als Jude definiert, wenn man nicht an Gott glaubt. Die Nationalität stand in unseren Pässen, wie z.B. „Russe“, „Ukrainer“ oder „Jude“. So konnten wir schlecht vergessen, dass wir Juden sind. Denn Antisemitismus war zwar nicht gesetzlich verankert, aber in den Köpfen der Menschen steckte es fest und so wurde man ständig daran erinnert. Wie in einem jüdischen Witz: „Ein Vater sagt zu seinem Sohn: Mein Sohn, vergiss es nie, dass du ein Jude bist, sonst wird man dich daran erinnern“. So haben wir es erlebt. Wir haben uns dagegen gewehrt, indem wir gegen den Rest der Welt zusammengehalten haben. Alle anderen waren doof, aber wir waren die intelligentesten und die auserwähltesten. Wir wussten zwar nicht, wer und wofür er uns auserwählte, und haben die Frage danach gar nicht gestellt, aber es war einfach schön, auserwählt zu sein.

Im Jahre 1990 hat Deutschland die Tür für Juden aufgemacht. Es gab damals ein Sprichwort bei uns: „Jude ist keine Nationalität, Jude ist keine Religion, Jude ist ein Verkehrsmittel“. Denn als Jude durfte man nach Israel, nach Amerika und jetzt auch nach Deutschland ausreisen. So wurde ich eine von 250.000 Juden, die in den letzten 22 Jahren nach Deutschland eingewandert sind. Ich kam nach Deutschland im Jahre 1992 mit meiner Mutter und meiner einjährigen Tochter. Mein großes Ziel war so zu werden, „wie alle“. In meinem Pass hier steht nicht, dass ich Jüdisch bin, also werde ich Deutsch. Ich habe die Sprache gelernt, habe mir viel Mühe gegeben, um mich zu integrieren und einen guten Job zu finden. Alles war gut, nur mit dem Eheleben wollte es nicht klappen. Ich war mittlerweile geschieden vom Vater meiner Tochter und heiratete einen deutschen Mann. Die zweite Ehe war noch schlimmer als die erste. Eine komplette Demontage meiner Persönlichkeit hat stattgefunden, so dass ich zum ersten Mal über den Sinn des Lebens nachgedacht habe. Danach habe ich erst mal im Buddhismus gesucht, aber ich wollte nicht im Universum verlöschen, und dann wurde ein guter Freund von mir Christ. Es hat mich sehr überrascht, dass ein intelligenter Mensch Christ werden kann. Ich dachte damals, dass nur sehr dumme Menschen an einen Opa, der im Himmel auf einem Stuhl sitzt, glauben können. Denn jeder weiß, dass im Himmel kein Stuhl stehen kann. So ein Gottesbild hatte ich damals. Ich habe wie ein Baby bis zur Geburt 9 Monate gebraucht, um gläubig zu werden, bis ich glauben konnte, dass Gott Mensch wurde und für meine Sünden starb. Dann wusste ich: Jetzt bin ich Christ.

Daraufhin haben Probleme in meinem Leben aufgehört und es wurde wie in einem Bilderbuch. Die Herausforderungen, die man so hat, sind keine Probleme mehr. Christus hat alles gut gemacht.

Wie Sie sehen, ist die Geschichte meiner Bekehrung gar nicht jüdisch geprägt. So hätte sich auch ein Deutscher bekehren können, und ich war auch so gut wie Deutsch. Ich habe mich einer landeskirchlichen Gemeinschaft angeschlossen. Meine Tochter war damals 11 Jahre alt und sie bekehrte sich auch kurz danach. Wir haben viele Zeichen und Wunder erlebt. Zum Beispiel bekam meine Tochter nach ihrer Bekehrung für einige Monate eine übernatürliche Gabe der Erkenntnis. Sie konnte plötzlich jede theologische Frage beantworten. Es war sehr ehrfurchtgebietend und so hat Gott bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Die Geschwister in der Gemeinde fragten mich, wie wir nach Deutschland gekommen sind und als ich antwortete, dass wir Juden sind, war die Reaktion in meinen Augen nicht adäquat: „Ihr seid Juden? Wie toll!“ Oder „Was für eine Ehre für unser Haus!“ Ich habe mich darüber gewundert: Seit wann ist es toll, ein Jude zu sein? Und warum ist es plötzlich eine Ehre für ihr Haus? Das klang alles so komisch und ich fragte Christen immer wieder, was ist an unserem Judentum so Besonderes, warum ist jeder aufgeregt, dass wir Juden sind. Leider konnte keiner meine Fragen beantworten. Meine Geschwister liebten Israel, wussten, dass Juden etwas Besonderes sind, aber damit hörte es auch auf. Und ich sagte immer: Du hast Jesus, ich habe Jesus, wo ist der Unterschied zwischen uns? Ich wollte auch nicht anders als die anderen Gläubigen sein. Außerdem tut diese billige Popularität uns nicht gut. Kaum kommt man irgendwo rein, schon wird man als Jude hervorgehoben. Auf Dauer ist es für uns ungesund. Bitte denken Sie an Ihre jüdischen Geschwister, dass da eine Balance gehalten wird.

Auf jeden Fall waren wir, meine Tochter und ich, ganz normale deutsche Christen, ohne jegliches Interesse an unserem Judentum. Meine Tochter war mittlerweile im letzten Schuljahr und wollte ein FSJ machen. Sie dachte dabei an christliche Arbeit mit Straßenkindern in Südamerika. An einem Tag lief sie durch einen Flohmarkt und sah dort auf einem Tisch eine Menora stehen, den jüdischen siebenarmigen Leuchter. Dabei ist etwas mit meiner Tochter passiert, so dass ein plötzliches Interesse für Israel über sie kam. Und so erlebte ich es in meiner Familie, wie ein Mädchen innerhalb von zwei Monaten von null auf hundert umgewandelt wurde und jetzt nur noch nach Israel wollte, in die Heimat von Jesus Christus und unserer Vorfahren. Sie kam nach Israel in eine Flüchtlingsarbeit mit sudanesischen Flüchtlingen und dann auch an eine Bibelschule in Jerusalem. Sie ist mit 18 für ein Jahr hingefahren und ist dort für immer geblieben.

Das konnten wir uns vorher gar nicht vorstellen, dass in unserer Familie so etwas passieren kann. Denn wie gesagt, wir hatten kein Interesse für Judentum und Israel. Meiner Tochter ging es auch in Deutschland sehr gut und sie hatte durchaus etwas zu verlieren. Israel ist kein einfaches Land zum Leben und sie hat angefangen dort zu kämpfen um ihren neuen Anfang.

Was bedeutete es für mich? Ich habe verstanden, dass für Gott nicht nur wichtig ist, dass ich an Jesus glaube, sondern dass ich auch meine jüdische Identität lebe. Er hat mich als Jüdin gemacht, also muss ich es auch leben. Vielleicht ist es für andere selbstverständlich, aber für mich war es nicht so klar, und ich habe so eine große Wende in meinem Leben gebraucht, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen.

OK, wie lebt man seine jüdische Identität? Ich habe einfach danach gegoogelt, wie man das heutzutage macht, und habe messianische Juden gefunden. Ich habe auch gelesen, dass sie glauben, dass die Torah immer noch Gültigkeit hat. Ich weiß noch, wie schlecht mir damals dabei wurde, denn es hatte Konsequenzen für mein Leben. Bis jetzt konnte ich Schweinefleisch essen und am Samstag (am Sabbat) machen, was ich wollte. Und jetzt plötzlich sollte ich es nicht mehr tun. Und es gibt ja noch viele anderen Gebote, die ich jetzt plötzlich befolgen sollte und zwar noch mit Freude. Aber als ehrlicher Mensch, der mit Gott geht, muss man sich dem stellen. Es gibt gute Bücher darüber und so verstand ich nach einiger Zeit, dass die Torah tatsächlich nicht gestorben ist und Paulus sie nicht abgeschafft hat. Diese Tatsache finde ich wichtig für uns alle, denn es steht in der Bibel sehr oft, dass die Torah und das Gesetz ewig sind. Wenn das ewige Gesetz plötzlich starb, was ist dann mit Jesus? Wie können wir dann sicher sein, dass der Bund in Jesus für ewig gültig sein wird? Für uns alle ist es sehr wichtig, dass Gott seine Meinung nicht ändert.

Irgendwann habe ich mich so weit entwickelt, dass ich angefangen habe, Sabbat zu feiern. In meiner damaligen Gemeinde herrschte die Meinung, dass wenn ein Gläubiger Sabbat feiert, dann ist er aus der Gnade gefallen. Ich wurde auch so erzogen, deswegen war es schwierig für mich, damit anzufangen. Immer wieder kam der Gedanke: Vielleicht falle ich dann doch aus der Gnade heraus. Es stand auch kein Jude damals neben mir. Ich kannte nur normale Christen, die mir viel geholfen haben. Wie gut, dass sie es nicht wussten, dass sie Juden nicht missionieren dürfen.

An einem Sabbat war es so weit, dass ich die ersten Gäste dazu eingeladen habe. Es war „zufällig“ der Sabbat an dem Laubhüttenfest. Unter den Gästen waren ein Moslem, eine Hindu, Christen und eine Jüdin war auch dabei. Das Laubhüttenfest hat eine Verheißung, dass irgendwann alle Völker dieses Fest feiern werden. Diese Verheißung hat sich im kleinen Maßstab in unserer Gruppe erfüllt. Seitdem habe ich 2,5 Jahre lang jeden Freitagabend das Sabbatfest bei mir zu Hause gefeiert. Dabei hatte ich ein offenes Haus, jeder durfte kommen, der dabei sein wollte. Ich hatte über die Jahre mehr moslemische Gäste zu Besuch als jüdische. Moslems haben sich für das Ritual interessiert, aber sowjetische Juden „wissen auch so schon alles“. Das ist leider unser Problem, dass wir sehr kleinbürgerlich erzogen wurden und die Interessen von den meisten sich auf Familie und Beruf beschränken.

Der Tag kam, an dem mir klar wurde, dass ich in eine messianische Gemeinde wechseln muss, egal wie lieb meine Geschwister in meiner alten Gemeinde sind. Denn in einer „normalen“ Kirche werde ich vergessen, dass ich Jüdin bin. In einer normalen Kirche bin ich wie alle, eine deutsche Christin. Und das ist ein wichtiger Grund, warum es messianische Gemeinden gibt. Man könnte ja denken, dass Juden, die sich zu Jesus bekehren, einfach in die bestehenden Gemeinden kommen können. Warum überhaupt der ganze Aufstand mit speziellen messianischen Gemeinden? Aber wir müssen unsere jüdische Identität bewahren, allein schon deswegen, weil Gott will, dass das jüdische Volk bewahrt wird. Gott will nicht, dass wir deutsch werden, Er will, dass wir Juden bleiben. Juden werden ins Gelobte Land ziehen und dort den wiederkommenden Jesus empfangen. Wenn es aber keine Juden mehr gibt, wer soll dann Jesus empfangen? Dann kann Jesus doch gar nicht wiederkommen. Deswegen haben wir alle das Interesse daran, dass Juden Juden bleiben. Und wenn jemand von euren jüdischen Geschwistern euch fragt, warum das so wichtig ist, dass er Jude bleibt, dann können Sie ihm vielleicht sagen, dass es für Gott wichtig ist, dass er seine jüdische Identität bewahrt. Für mich war es eine neue wichtige Erkenntnis und vielleicht werden sie mit der Aussage jemandem helfen können. Also Juden nicht nur nach Israel schicken, sondern ihnen auch erzählen, dass sie die Torah in ihrem Leben umsetzen sollen. Es ist eine große Herausforderung für uns, wie wir die Torah aus Jesu Perspektive umsetzen sollen. Es gibt keine einheitliche messianische Theologie, jeder sagt etwas anderes. Sie wissen ja: Zwei Juden – drei Meinungen. Wir befinden uns in einem kreativen Prozess, wie z.B. in meiner Gemeinde, wo jeder eine andere Vorstellung hat, wie man Sabbat feiern soll. Dort lernt man mit verschiedenen Meinungen umzugehen, seine eigene Meinung herauszubilden und mit der Zeit entwickelt sich auch die eigene Meinung weiter.

Oder jüdische Speisevorschriften – ein kompliziertes Thema, in Deutschland schwer umzusetzen. Unter Speisevorschriften steht nicht nur, dass man kein Schweinefleisch essen darf, sondern auch dass alle Tiere richtig geschlachtet werden müssen. Kein einziges Tier wird in Deutschland richtig geschlachtet. Was mache ich damit, wie weit gehe ich? Ist es für Gott überhaupt wichtig? Wenn ich der Bürger im Himmlischen Jerusalem bin, wie kann es für Gott wichtig sein, dass ich etwas esse oder nicht esse? Aber wenn wir die Bibel lesen, dann sehen wir, dass es für Gott wichtig ist. Und so muss jeder seinen Weg finden, ob er Vegetarier wird oder nicht. Es gibt darüber keine einheitliche Theologie, jeder muss es für sich selber entscheiden.

Ein weiteres spannendes Thema ist, dass in messianischen Gemeinden mindestens die Hälfte der Mitglieder keine Juden sind. Wir sind meistens russischsprachige Gemeinden, haben auch viele Deutsche bei uns, aber die Tatsache ist, mindestens die Hälfte davon ist nicht jüdisch. Ich habe oft überlegt: Mein Weg zum messianischen Judentum war so schwierig. Warum ist dieser Weg für viele Nichtjuden attraktiv? Warum nutzen sie ihre Freiheit nicht? Warum wollen sie Torah-Gebote halten, wie kommen sie darauf? Eine Antwort, die ich für mich habe, ist: Gott benutzt Heiden, wenn Juden versagen. So wie es war, als die Mehrheit von Juden Jesus als ihren Messias nicht akzeptierte, hat Gott Heiden in Sein Reich geführt. Jetzt interessieren wir uns als Juden, auch in den messianischen Gemeinden, nicht unbedingt für Torah. Und Gott schickt uns Gläubige aus Nationen, die begeistert von Torah sind, die biblische Feste feiern, Sabbat und Speisevorschriften mit Freude einhalten. Wenn ich solche Leute sehe, macht es mich eifersüchtig, dass sie meine Torah mehr lieben als ich, und ich werde eifriger, was die Torah betrifft.

Außerdem lesen viele Christen in der Bibel und denken, dass wir als jüdische und nichtjüdische Gläubige jetzt eins sind, und alles, was für Juden gilt, soll auch für sie gelten. Gott wird uns nichts schlechtes gebieten. Wenn es für Juden gut sein soll, kein Schweinefleisch zu essen, dann ist es auch für sie gut.

Als messianische Juden sind wir dazu berufen, Christentum und Judentum zu verbinden. Die Realität sieht leider oft so aus, dass wir für Juden keine Juden sind und für Christen keine Christen sind. Aber vom biblischen Hintergrund sind wir sowohl im Judentum als auch im Christentum zu Hause. Bei Christen entsteht oft ein Bild: Wir als Gemeinde sind hier alle zusammen in Jesus, während Juden irgendwo weit weg stehen. Juden sind wichtig und von Gott geliebt. Irgendwann am Ende der Tage werden sie sich zu Jesus bekehren, Juden werden dabei so wie wir Christen und kommen zu uns in die Gemeinde. Daraufhin kommt Jesus wieder und alles wird gut.

Ein Teil der messianischen Berufung ist, dieses Bild zu verändern. Wir haben heute schon oft vom jüdischen Olivenbaum gehört, an dem alle Gläubigen wachsen. Als Jesus-Gläubige hängen wir alle am jüdischen Olivenbaum und sind dadurch eine Einheit geworden. Wenn die restlichen Gläubigen aus Juden und Nationen dazu kommen, wird der Baum davon nicht weniger jüdisch. Das heißt, Israel ist auch jetzt schon nicht weit weg, sondern wir alle wachsen daraus.

Ich weiß noch, wie geschockt ich war, als ich bei Derek Prince gelesen habe, dass Jesus auch im Himmel „Löwe von Juda“ und „Wurzel Davids“ genannt wird. Ich dachte, wen interessiert noch im Himmel David oder die Stämme Israels? Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass im Himmel jüdische Elemente vorhanden sein werden. Aber im himmlischen Jerusalem wird über jedem Eingangstor der Name von einem jüdischen Stamm geschrieben werden. Ich dachte, der Himmel ist ein Ort für die Gemeinde, aber der Himmel scheint nach dem Buch der Offenbarung ein sehr jüdisch geprägter Ort zu sein. Auch deswegen ist Israel bereits jetzt nicht weit weg von der Gemeinde entfernt.

Für mich ist es sogar der Ausdruck für die „weltweite jüdische Verschwörung“. Antisemiten aller Zeiten behaupteten, dass Juden die Weltwirtschaft und die Politik unter ihrer Kontrolle halten. Aber was wirklich passiert ist, dass die ganze Welt an den jüdischen Gott glaubt. Christen aller Welt glauben an den jüdischen Messias, ob sie es wissen oder nicht. Und das ist auch ein Teil der Berufung vom jüdischen Volk: Die Herrlichkeit Gottes allen Nationen zu bringen. In meinen Augen ist die Verwirklichung dieser Berufung die wahre „weltweite jüdische Verschwörung“. Unser Volk ist leider noch weit davon entfernt, diese Berufung zu leben. Wir waren mal ein Volk von großen Helden, wie David, Jesus oder Paulus, die eine wichtige Botschaft für die ganze Welt hatten. Mittlerweile sind wir klein geworden und drehen uns hauptsächlich um uns selbst: Wir und die jüdische Frage. Die anderen Nationen interessieren Juden gar nicht, eine Ausnahme bilden dabei messianische Juden. In diese Berufung müssen wir in Jesus Christus wieder hineinkommen.

Es ist sehr spannend, Menschen zu erzählen, dass Jesus, an den sie glauben, der jüdische Messias ist. Oft ist die Verwunderung sehr groß: Wie, sogar Gott selbst zu euch gehören soll? Manchmal denke ich, vielleicht ist es gar nicht so wichtig, dass Christen erfahren, dass sie an den jüdischen Messias glauben. Aber wenn unser Ziel ist, Gott immer besser kennen zu lernen, dann sollte man doch so viel Wahrheit ertragen können, dass das Heil von den Juden kommt und dass Jesus selbst und die Apostel Juden waren.

Eins der Hauptziele der messianischen Juden ist Judenevangelisation und bei uns in Hamburg leben viele russische Juden. Sie trifft man bei verschiedenen Veranstaltungen in der Synagoge, wo sie hingehen wie in einen Club. Es ist eine mühsame Angelegenheit, Juden vom jüdischen Messias zu erzählen, denn sie wollen sich nicht bekehren. Aber andere Leute wollen sich auch nicht bekehren. Die Erfahrung mit Nachbarn, Kollegen und Bekannten zeigt, dass es mit ihnen genauso schwierig ist, wie mit Juden. Deswegen kann ich nicht sagen, dass Juden schwerer zu erreichen sind als Leute aus Nationen. Alle Menschen sind mit dem Evangelium schwer zu erreichen.

Man kann hier noch vom Preis der Nachfolge sprechen. Traditionell definiert sich ein Jude dadurch, dass er nicht an Jesus glaubt. Wenn ich zu einem Juden sage, dass es die jüdischste aller Entscheidungen ist, an den jüdischen Messias zu glauben, dann kommt diese Botschaft sehr schwer an. Auch wegen der leidvollen Geschichte des jüdischen Volkes und die Geschichte kann man sehr gut instrumentalisieren, damit man sich mit Glaubensfragen nicht beschäftigen muss. So bin ich momentan die einzige Gläubige in meiner Familie. Einige Leute aus der Familie sprechen deswegen nicht mehr mit mir, weil sie meinen, dass ich sie durch meinen Glauben verraten habe. Jude sein wird wie Geburtsrecht gesehen, und wenn ich an Jesus glaube, dann bin ich für sie keine Jüdin mehr.

Dieser Gedanke ist sowieso sowohl bei Juden als auch bei Christen weit verbreitet: Wenn ein Jude beginnt, an Jesus zu glauben, hört er auf, Jude zu sein. Aber wenn Jesus der jüdische Messias ist, wie kann man dann aufhören, Jude zu sein, wenn man an ihn glaubt? Es hört sich sehr logisch an, aber ein nicht messianischer Jude kann das nicht fassen. Interessant, wie die ganze Intelligenz plötzlich nicht mehr reicht, um diese Aussage nachzuvollziehen. Dafür braucht man wirklich den Heiligen Geist. Sie sehen, es gibt viele Baustellen bei uns. Noch eine Sache zum Schluss. Es gibt Israel als Land und Israel als Volk. Mit dem Land Israel habe ich wenig zu tun, vielleicht nur durch meine Tochter. Aber es gibt jetzt wieder Juden in Deutschland. Deswegen muss man nicht unbedingt nach Israel fahren, um dem jüdischen Volk zu dienen, denn Israel ist mitten unter uns. Deswegen stellt sich die Frage, wie wir diese Menschen erreichen können. Ich gehöre zu einer kleinen russischsprachigen Gemeinde. In Hamburg gibt es auch ein deutschsprachiges messianisches Werk. Wir haben uns zusammengeschlossen und es gibt viele Projekte, wo man mitmachen kann. Vielleicht möchten Sie uns dabei helfen, nicht unbedingt in Hamburg, sondern da, wo sie zu Hause sind. Es gibt viele messianische Gemeinden in Deutschland. In unserem Werk „Beit Sar Schalom“ in Berlin gibt es eine Datenbank mit allen messianischen Gemeinden Deutschlands. Dort können Sie anrufen und fragen, ob es eine solche Gemeinde in Ihrer Stadt gibt. Besuchen Sie uns. Wir feiern unsere Gottesdienste immer samstags, also am Schabbat, das heißt sonntags können Sie in Ihre Heimatgemeinde gehen und samstags uns besuchen. Wir übersetzen unsere Gottesdienste in Deutsch und wir freuen uns über die Einheit. Wir sondern uns nicht extra ab, sondern wir wollen unsere Identität bewahren. Wir brauchen Sie, Sie brauchen uns und hoffentlich geht es voran mit der Einheit unter uns Geschwistern. Amen.